Evolutionspsychologischer Exkurs:
Streng genommen besteht ein Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen: Emotionen gehen den Gefühlen immer voraus. Dies ist so, weil die Evolution zuerst die Emotionen und dann die Gefühle hervorgebracht hat. Emotionen bestehen aus einfachen Reaktionen, die auf simple Art und Weise für das Überleben eines Organismus sorgen.
Aus dieser Sicht dienen sowohl die Emotionen als auch die Gefühle dem übergeordneten Ziel der Homöostase, also des Erreichens eines Zustandes von Balance, was uns ein subjektives Wohlgefühl und Zufriedenheit vermittelt.
Das Modell, das der Entstehung der Emotionen zu Grunde liegt, wird auch als Konzept der unbewussten Emotion bezeichnet und basiert auf aktuellen neurobiologisch fundierten Erkenntnissen
Charakteristika der Emotionen:
- Die Emotionen treten immer auf der Bühne des Körpers auf:
- Emotionen sind körperliche Prozesse (z.B. unspezifische Erregung, die sich durch Erhöhung der Herzfrequenz, des Blutdrucks, erhöhte Schweißproduktion, Ausschüttung von Hormonen etc ausdrückt.), die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben, die nach außen sichtbar ist
- Der Körper soll mit Hilfe dieser Prozesse optimal auf ein Kampf-oder Fluchtverhalten vorbereitet werden und somit unser Überleben sichern.
- Ausgelöst werden diese Prozesse durch die Wahrnehmung eines bedrohlichen Reizes.
Charakteristika der Gefühle:
- Das subjektive Gefühl entsteht auf der Bühne des Geistes:
- und ist somit der Emotion nachgeordnet
- Denn Gefühle entstehen erst, wenn das Gehirn die körperlichen Prozesse, die Emotionen, analysiert und bewusst wahrnimmt.
Beispiel:
Wir befinden uns in der Steinzeit. Eine Gruppe von Menschen haben sich als Jäger zusammen getan, um ein großes Mammut, das sie seit Tagen verfolgen, zu erlegen.
Plötzlich und wie aus dem Nichts nähert sich unerwartet eine gesamte Gruppe von Mammuts.
Welche Reaktionen laufen nun in unseren Vorfahren ab?
Sie bekommen Angst. Dieses Gefühl dient als Signal, welches den gesamten Organismus optimal auf Kampf- oder Fluchtverhalten vorbereiten soll.
Verarbeitungswege der Emotionen bzw. Gefühle im Gehirn.
Es gibt nun eine Reihe von Prozessen, die parallel und nacheinander ablaufen:
Erster Prozess:
Die Information “Mammuts im Anmarsch” wird von den Sinnessystemen (Augen, Ohren etc.) weitergeleitet an den Thalamus im Zwischenhirn. Er ist der Dreh-und Angelpunkt für alle hereinkommenden Signale, die Schaltzentrale. Die Amygdala – eine mandelförmige Struktur im Gehirn, die alle Reize emotional einfärbt – bewertet nun die eingehende Information aus dem Thalamus blitzschnell. Ist eine Gefahr, eine Bedrohung erkannt, werden der Hypothalamus (zuständig für die hormonelle Reaktion) und der Hirnstamm (zuständig für schnelle, motorische Reaktionen) aktiviert, so dass eine schnelle körperliche Angstreaktion eingeleitet werden kann, ohne, dass dafür bewusste Planung notwendig ist. In diesem Moment fühlen die Steinzeitmenschen also keine Angst. Sie ist Ihnen (noch) nicht bewusst.
Charakteristika: Die oben beschriebenen Schritte verlaufen ohne bewusste Analyse der Reize und sind blitzschnell. Hier könnte man sagen, dass das Gehirn bereits mehr weiß als wir selbst.
Ziel: Überleben durch schnelle körperliche Aktivierung, die Kampf- oder Fluchtverhalten ermöglicht.
Gefühl: zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Zweiter Prozess:
Nachdem die Amygdala den aus dem Thalamus kommenden Reiz analysiert und als bedeutsam markiert hat, wird die Information “Mammut im Anmarsch” in den präfrontalen Kortex, der für das planerische Handeln zuständig ist, weitergeleitet. Zugleich wird der Hippocampus aktiviert. Dies ist eine Struktur, die sehr eng mit Gedächtnis und Erinnern in Zusammenhang steht. Es findet folglich ein Abgleich der aktuellen Situation mit ähnlichen früheren Situationen statt anhand derer eine Neubewertung der aktuellen Situation vorgenommen wird. Vor dem Hintergrund der Erfahrungswerte, die ein Mensch mit dieser Situation bisher gewonnen hat (z.B. ein Mammut können wir in der Gruppe bezwingen vs. das letzte Mal als wir uns im Kampf mit drei Mammuts befanden sind vier von uns gestorben) fließen natürlich auch Erwartungen über erfolgreiche Handlungsstrategien mit ein. Je nachdem wie stark die Besorgnis um die eigene Sicherheit ausfällt, umso stärker dringt nun das bewusste Gefühl, die Angst ins Bewusstsein unserer Vorfahren. Diese mentalen Prozesse wiederum sind also unweigerlich an das erlebte, subjektive Gefühl gekoppelt.
Charakteristika: dieser Prozess verläuft gemessen an dem ersten viel langsamer
Ziel: ggf. Neubewertung der eingehenden Situation, nachdem nun die Erfahrungswerte und eingehende Reize aus anderen Sinnessystemen hinzugezogen werden und mit der aktuellen Situation verglichen werden.
Gefühl: subjektives und bewusstes Gefühl der Angst im Falle einer Wahrnehmung von Bedrohung.
Dritter Prozess:
Nach eingehender Bewertung und Analyse der Situation energetisieren die Gefühle – sofern die Bedrohungseinschätzung sich als akut erweist – zum Handeln. Nach erfolgtem Kampf- oder Fluchtverhalten werden körperliche Prozesse eingeleitet mit dem Ziel das körperliche, aber auch das mentale und emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen. Da sich die Strukturen, die unsere Emotionen und Gefühle verarbeiten von einer evolutionären Perspektive aus gesehen deutlich früher entwickelt haben als die Strukturen des Gehirns die für rationale Analysen zuständig sind, haben diese meist auch einen mächtigeren Einfluss auf unser Empfinden, Denken und letztendlich auch unser Verhalten.