Alles eine Frage der Abwehr? Wenn Stress krank macht!

Depressive Erkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Etwa jeder siebte Mensch erleidet mindestens einmal eine depressive Episode im Verlaufe seines Lebens. Häufig werden diese in Zusammenhang gebracht mit Stress und wachsender Arbeitsbelastung. Kein Wunder also, dass Depressionen auf dem Vormarsch sind.

Neue Forschungsergebnisse lassen die Depression so wie wir sie bisher gesehen haben, jedoch in einem völlig anderem Licht erscheinen. Bekannt ist, dass chronischer Stress sowie akute Belastungen unser Immunsystem in Alarmbereitschaft versetzen.

Infolgedessen werden Hormone wie Cortisol ausgeschüttet. Dieses Hormon bewirkt unter anderem, dass unser Immunsystem zunächst gedrosselt wird.

Dies macht evolutionsbiologisch betrachtet durchaus Sinn, da eine in Alarmbereitschaft versetzte körperliche Abwehr mit Symptomen wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit und einem Antriebsmangel kurz „sickness behavior“ einhergeht. Dies wäre im Überlebenskampf eher hinderlich.

Hält nun die akute Belastung an und entwickelt sich zu einem Dauerstress, kann es zu einem Zusammenbruch der Stressachse kommen.

Charakteristisch dafür ist, dass plötzlich zu wenig Cortisol ausgeschüttet wird und die dämpfende Wirkung auf das Immunsystem nachlässt. Durch die nun besonders starke Aktivierung der Krankheitsabwehr tritt nun auch das „sickness behavior“ verstärkt in Erscheinung und sorgt für anhaltende Müdigkeit, Schlappheit und Lustlosigkeit.

Diese Symptome erinnern wiederum stark an psychische Erkrankungen wie Depression, Burn-Out oder das chronische Erschöpfungssyndrom. Könnte also das Immunsystem, das eigentlich vor Krankheit schützen soll, für dauerhafte Gefühle wie Traurigkeit, eine gedämpfte Stimmung und Antriebslosigkeit sorgen?

Ja, meinen Simon Gray und Michael Bloch von der Yale University. In Ihrer Metaanalyse (2012) konnten die Forscher belegen, dass als depressiv klassifizierte Patienten auch eine deutlich erhöhte Konzentration von Zytokinen aufwiesen.

Diese Immunbotenstoffe wiederum spielen eine zentrale Rolle im Abwehrsystem des Körpers, da sie die einzelnen Phasen der Immunreaktion koordinieren.

Besondere Wachsamkeit ist also geboten, wenn das Immunsystem z.B. durch eine chronische Entzündung aus dem Gleichgewicht gerät, die allein kaum körperliche Beschwerden oder Schmerzen verursacht, auf der anderen Seite aber dafür sorgt, dass der Betroffene sich ständig schlapp und müde und mit allem überfordert fühlt. Eine richtige Diagnose ist bei solch schleichenden Erkrankungen, zu denen etwa Zahnwurzelentzündungen, Harnwegsinfekte oder die Vereiterung der Nasennebenhöhlen zählen, dringend erforderlich. Mit der richtigen medikamentösen Therapie (z.B. Antibiotika, vorausgesetzt es handelt sich um bakterielle Infekte) verschwindet dann nicht nur die Entzündung sondern auch die depressive Symptomatik schon sehr bald.

Dass dies kein einseitiger Mechanismus ist, sondern es vielmehr um die Wechselwirkung von Körper und Psyche geht, konnte auch eine Forschergruppe um Andrew Miller von der Emory University eindrücklich zeigen. Sie fanden in Ihren Studien heraus, dass in der Kindheit traumatisierte Männer im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe eine deutlich stärkere Immunreaktion auf psychosozialen Stress zeigten.

Die neuesten Erkenntnisse aus dem Bereich der Somatopsychologie legen also nahe, dass der Einfluss von Immunbotenstoffen auf Stimmung und Verhalten in keinerlei Weise statisch ist, sondern es sich vielmehr um dynamische, feedbackgesteuerte Prozesse handelt. Es scheint folglich das sensible Gleichgewicht zwischen den einzelnen Bausteinen des Immunsystems sei nicht nur von großer Bedeutung für unsere körperliche Gesundheit sondern auch für unser psychisches Wohlbefinden.

Warum also nicht einfach mal zur Abwechslung auf den Körper hören? Und im Zuge stressiger Zeiten sich dem „sickness behavior“, ganz ohne schlechtem Gewissen genüsslich auf der Couch lümmelnd hingeben. Oder noch besser sich im Vorfeld immer wieder kleine Verschnaufpausen gönnen, bewusst Raum schaffen für Entspannung, so dass ein Ungleichgewicht auf körperlicher wie auch psychischer Ebene gar nicht erst entstehen kann.

Quellen:

Gray, S.M., Bloch, M.H.: systematic review of proinflammatory Zytokines in obssessive-compulsive disorder. In: current psychiatry report 14, S.220 -228, 2012

Hanff, T.C. et al.: biochemical and anatomical substrates of depression and sickness behavior. In: israelic journal psychiatric related sciences 47, S.64-71, 2010 Hoge, E.A. et al.: broad spectrum of zytokine abnormalities in panic disorder and posttraumatic stress disorder. In: Depress. Anxiety 26, S.447-455, 2009

Literaturtipp:

Kasten, E.: Somatopsychologie. Körperliche Ursachen psychischer Störungen von A bis Z. Ernst Reinhardt, München 2010